Ein internationales Forschungsteam hat verschiedene Mechanismen entdeckt, die genetische Vielfalt bei asexuellen Milben erzeugen und so ihr Überleben sichern. Diese Studie wurde in Science Advances veröffentlicht.
Forschende der Universität zu Köln haben zusammen mit internationalen Partnerinstitutionen die asexuelle Fortpflanzung bei Hornmilben mit modernen Genomsequenzierungstechniken untersucht. Sie zeigen, dass der Schlüssel zu einer Evolution ohne Sex bei Hornmilben in der unabhängigen Entwicklung ihrer beiden Chromosomenkopien liegt, ein Phänomen, das als 'Meselson-Effekt' bekannt ist. Das Forschungsteam identifizierte verschiedene Mechanismen, die zur genetischen Vielfalt in den Chromosomensätzen beitragen und damit die Evolution der Milbe sichern.
Wie der Mensch besitzen Hornmilben einen diploiden Chromosomensatz. Im Gegensatz zu Menschen pflanzt sich die asexuelle Hornmilbe Platynothrus peltifer jedoch parthenogenetisch fort: Mütter produzieren Töchter aus unbefruchteten Eiern, was zu einer rein weiblichen Gesellschaft führt. Durch Genomanalysen an einzelnen Milben konnten die Forschenden erstmals die angesammelten Unterschiede zwischen den Chromosomenkopien untersuchen und ihre Bedeutung für das Überleben der Milbe analysieren. Die Ergebnisse dieser Studie, gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), wurden unter dem Titel 'Chromosomen-skalierte Genomdynamik offenbart Signaturen unabhängiger Haplotyp-Evolution bei der alten asexuellen Milbe Platynothrus peltifer' im Fachjournal Science Advances veröffentlicht.
Sex ist ein zentraler Motor der Evolution, der genetische Vielfalt bietet und Organismen hilft, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen. Ohne Sex hingegen drohen genetische Stagnation und Aussterben, zumindest laut gängiger Evolutionstheorie. Doch die Milbe Platynothrus peltifer widerspricht diesen Regeln: Sie existiert seit über 20 Millionen Jahren ganz ohne Sex. Asexuelle Hornmilben erzeugen ihre weiblichen Nachkommen aus unbefruchteten Eiern, ohne dass Männchen zur Fortpflanzung beitragen. Je nach Mechanismus, der zur Wiederherstellung des diploiden Chromosomensatzes führt, können die Nachkommen entweder alle oder einen Teil der Genvarianten (Allele) der Mutter erben und somit 'vollständige Klone' der Mutter werden.
Bei den Hornmilben entwickeln sich die beiden Kopien des Chromosomensatzes unabhängig voneinander, wodurch ein experimenteller Raum entsteht, in dem neue genetische Varianten entstehen können, während gleichzeitig wichtige Informationen bewahrt bleiben. Ein besonders bemerkenswerter Unterschied zeigt sich in der Genexpression, also darin, welche Kopien der Gene wie stark aktiv sind. Diese Unterschiede ermöglichen eine schnelle Reaktion auf Umweltveränderungen und verleihen einen selektiven Vorteil.
Zusätzlich spielt der horizontale Gentransfer (HGT) eine Rolle. Dabei handelt es sich um die Übertragung oder Aufnahme genetischen Materials außerhalb der sexuellen Fortpflanzung. 'Horizontaler Gentransfer, bei dem Gene sogar von artfremden Organismen übertragen werden können, funktioniert wie das Hinzufügen neuer Werkzeuge zu einem bestehenden Werkzeugkasten. Einige dieser Gene scheinen der Milbe zu helfen, Zellwände zu verdauen und somit ihr Nahrungsspektrum zu erweitern,' erläutert die Erstautorin der Studie, Dr. Hüsna Öztoprak vom Institut für Zoologie der Universität zu Köln.
Darüber hinaus spielen 'springende Gene', die sogenannten transponierbaren Elemente (TE), eine wichtige Rolle. TEs bewegen sich innerhalb des Genoms wie Buchkapitel, die in eine neue Geschichte eingefügt werden und den Handlungsverlauf verändern können. Besonders spannend: Die Aktivität dieser TEs unterscheidet sich zwischen den beiden Chromosomenkopien. Während sie auf einer Kopie aktiv sind und dynamische Veränderungen bewirken können, bleiben sie auf der anderen eher inaktiv.
Die Studie liefert neue Erkenntnisse über die Überlebensstrategien von asexuellen Organismen. Unterstützt wird die asexuelle Evolution durch verschiedene Quellen genetischer Vielfalt, auf die das Forschungsteam in der Studie aufmerksam macht. 'In künftigen Forschungsprojekten möchten wir herausfinden, ob es noch weitere Mechanismen gibt, die für eine Evolution ohne Sex von Bedeutung sind,' so Dr. Jens Bast, Emmy Noether-Gruppenleiter an der Universität zu Köln.